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Bad Kreuznacher Wirtschaftsgeschichte
Der Badewirt Christian und der Uhrmacher Wilhelm Gravius
Der Küfer Samuel Christian (1802-1877) entfernt sich von seinen handwerklichen Wurzeln und findet für sich und seine Nachkommen ein Auskommen im entstehenden und dann prosperierenden Badebetrieb. Durch die Heirat mit Anna Maria Theis (1809-1872), der Tochter des Gärtners Johannes Theis, gelangt er zu Grundbesitz auf dem „großen Wörth“ und erhält damit die Möglichkeit, an der Entwicklung der Insel zu einem Kurviertel teilzunehmen. Innerhalb weniger Jahrzehnte verändert sich die Nutzung des großen Wörths, der sich von einem fruchtbaren, intensiv genutzten „Gartenfeld“ zum Badewörth entwickelt, auf dem erst zögerlich, dann nach dem 1841 abgeschlossenen Alignement mit zunehmender Geschwindigkeit ein attraktives Kurgebiet mit Kurhaus, privaten Hotels und Badehäusern entsteht.
Samuel Christian bewohnt Ende der 1820er Jahre mit seiner Familie zunächst noch ein kleines Gebäude mit Hinterhaus auf dem Wörth, das unmittelbar an die Ecke der Friedhofsmauer an der Pauluskirche stößt. Dazu gehören ein Stall und eine Scheune, die inmitten eines großen Gartens liegen. Nach dem Abschluss des Alignements, das die Grundlage zur baulichen Entwicklung der Insel bildet, entstehen „Alleen“, Straßen und Wege. Der Wörth erhält dadurch eine Struktur. Gravius stellt 1844 den Antrag, ein neues Gebäude direkt an der Carlsstrasse, die später Kurhausstrasse genannt werden sollte, zu errichten. Für das projektierte Badehaus müssen Stall und Scheune weichen, das alte Wohnhaus bleibt stehen. Gravius nennt sich nun nicht mehr Küfer, sondern Badewirt. In dieser Tätigkeit wird ihm sein ältester Sohn Carl Christian am gleichen Ort folgen. Als „Villa Franzmann“ erfährt das Haus dann unter neuen Betreibern eine Namensänderung.
Auf einer weiteren Parzelle des ehemals Theis‘schen Besitzes, vis à vis dem 1843 fertiggestellten Kurhaus, entsteht 1856 das Hotel Royal. Als Bauherr und Erstbetreiber wird Johann Winand Dreesen, Samuel Christians Schwiegersohn genannt. Bis Mitte der 1870er Jahre lebt er dort mit seiner Familie. Danach wirbt Christian Gravius als „Propriétaire“ mit einem Hotelprospekt für das Hotel Royal, das nun mit Anbauten erweitert ist. 1874 wird neben dem Hotel das neu errichtete Kurtheater eröffnet. Die exponierte Lage gegenüber dem Kurhaus, die zunehmende Anzahl an Kurgästen und die gewünschte Exklusivität der Unterbringung führen dazu, dass das Hotel Royal mit dem benachbarten 1841 errichten Hotel Englischer Hof der Familie Baum zusammengelegt und Anfang der 1890er Jahre abgerissen wird. Der nachfolgende Bau wird der Fürstenhof sein.
Ludwig Gravius (1809-1869) tritt als Metzger in die Fußstapfen seines Vaters Elias und bleibt dem handwerklichen Milieu treu. Sein ältester Sohn Johann Wilhelm (1857-1928) bricht hingegen mit dieser Tradition. Er wird Uhrmacher und eröffnet vor dem Hintergrund einer nach der Reichsgründung prosperierenden Stadt sein eigenes Geschäft. Dienstleistungen, handwerkliches Können und Handel sind die Grundlage einer soliden wirtschaftlichen Existenz, die mit Aus-, Fort- und Weiterbildung und mit weiteren Spezialisierungen zum Ausbau des Geschäfts führt. Die stetige Reaktion auf Neuerungen und die Ausrichtung auf Qualitätsstandards sichern die Grundlage des Geschäftes, das seine Söhne Ludwig und Friedrich Karl ins 20. Jhdt. weitertragen können und das bis heute Bestand hat.
Johann Wilhelm Gravius absolvierte seine Lehre bei dem Kreuznacher Uhrmacher Michael Grossarth. Im „Lehrbrief“ steht, dass Wilhelm bei ihm „3 Jahre“ gelernt und „sich als ordentlicher Gehilf gebildet“ habe. Danach arbeitete er von November 1875 bis Juni 1876 in St. Johann bei Christian Mügel. Am 1. März 1880 eröffnete Gravius in Kreuznach in der Mühlengasse 1 ein Uhrmachergeschäft. Wenig später, 1882, ist er von dort in eines der Brückenhäuser auf der alten Nahebrücke, Mannheimer Straße 90, gezogen. Dort warb er als Wilhelm Gravius Uhrmacher & Optikus. Er offerierte Uhren, Goldschmuck und optische Gegenstände und übernahm Reparaturen und andere Serviceleistungen. Spätestens seit 1885 hatte er z.B. ein Abonnement für das Aufziehen und Instandhalten von 8 Uhren im Puricellischen Haushalt inne, die sich auf 15 Stück im Jahr 1910 erhöhten. Außerdem war er für die Beaufsichtigung und Regulierung der Hofuhr im Rittergut Bangert zuständig und führte für die Familie verschiedene Reparaturen an Schmuckstücken, Brillen und meteorologischen Instrumenten aus. Überhaupt hatte er zu diesem Zeitpunkt sein Angebot stark erweitert: Uhren aller Art (Pendel-, Wand-, Taschenuhren), Goldwaren (Ringe, Ketten, Broschen), optische Gegenstände (Brillen, Kneifer) und diverse meteorologische Messinstrumente wie Thermometer und Barometer. Seine Spezialität waren Brillen, die er nach ärztlicher Vorschrift herstellte. Wiederum eine Spezialisierung, die vor dem Hintergrund niedergelassener Ärzte und der Funktion der Stadt als Mittelpunktgemeinde und Kur- und Badestadt gut gewählt war. Der Erfolg zeigte sich darin, dass er zu diesem Zeitpunkt schon eine Filiale in Bad Münster am Stein besaß. Zu dieser Zeit war er außerdem der „Einkaufsgenossenschaft“ Union Horlogère beigetreten. Ziel dieser Kooperation von Herstellern und Händlern war die Herstellung und der Vertrieb von Qualitätsuhren zu günstigen Preisen. Trotz einer wirtschaftlichen Flaute im Ersten Weltkrieg hatte das Geschäft Bestand. 1927 entwarf Philipp Jacob Thon (1884-1936) in seinem Reklame-Atelier eine Anzeige, die einige Jahre in Anwendung kam. Er überschrieb sie mit dem Slogan: „Die gute Brille von Gravius“. Eine Aussage, die noch heute trägt.
Franziska Blum-Gabelmann